Zwischen Bangkok und Phnom Penh:

HÜTCHENSPIEL MIT REISEPÄSSEN

Durch das Hinterland nach Angkor Wat: Christian Schnohr ist über Battambang zum Tempelkomplex in Siem Reap gereist und beschreibt das Leben im Niemandsland zwischen Bangkok und Phnom Penh.


Wo die geteerte Straße endet, fängt Kambodscha an. Zumindest am Grenzübergang im Westen Thailands bei Pailin. Der Weg ins Nachbarland führt über eine kleine Holzbrücke unter der sich ein brauner Bach müde in Richtung Süden kämpft. Dahinter beginnt das Niemandsland, in dem diverse Bretterhütten als Zollstationen dienen. Hier ist das Reich der Zöllner und Schlepper.
Sie scharen sich um westliche Neuankömmlinge, um mit deren Pässen und ausgefüllten Visa von einem Grenzhaus zum nächsten zu eilen: Ein verwirrendes Schauspiel, bei dem die mitunter ängstlich dreinblickenden Touristen im Schatten zurückbleiben. Hütchenspiel in Kambodscha: Welcher Grenzer hat meinen Pass?

ZWIELICHTIGE GRENZSTADT

Die kambodschanische Grenzstadt Psah Prum wirkt selbst in der grellen Mittagssonne zwielichtig: Windschiefe Gebäude aus Holz und eine staubige Straße versprühen den Flair einer amerikanischen Westernstadt. Die Pferde: Zahllose Motorroller, deren Eigentümer stürzen, um sie zur Taxizentrale ihres Vertrauens zu bringen. Einigt man sich auf einen Preis, heißt es: Warten. Warten bis das Taxi voll ist. Zeit genug, sich in der Westernstadt umzusehen. Neben der Tankstelle mit Erdgas und Holzkohle bietet eine ältere Frau Arzneimittel gegen Malaria an, denn Psah Prum befi ndet sich im Risikogebiet. In der Auslage ihres Nachbarn liegen stangenweise Zigaretten und anderes Räucherwerk. Daneben die neuesten Nokia-Handys und Dosen mit kalten Getränken. In der kleinen Kneipe, vor der das Taxi wartet, sitzen die Menschen auf blauen Plastikstühlen. Während ein Mann ein ausgewachsenes Schwein von seinem Moped hievt und in die Gaststätte trägt, kommt ein anderer Gast auf ein Bier vorbei. Er trägt zwei lebendige Hühner in einem Jutebeutel mit sich. Unten hat er Löcher für die Füsse hineingeschnitten, damit er die Hühner bequem parken kann. Zusammen mit den meisten anderen Kunden drängt er sich vor dem obligatorischen Fernseher zusammen. Das verschwommene Bild lässt Wrestling erahnen. Der amerikanische Show-Sport ist im ganzen Land sehr populär. Über die Schotterpiste durch Psah Prum brettern Mopeds, Pick-Up-Taxen und Lastwagen mit frisch geerntetem Mais. Neben Lebensmitteln und neugierigen Hühnern stapeln sich auf ihren Ladeflächen dutzendweise Menschen mit Sturmhauben, Sonnenbrillen und Mundschutz. Grundausrüstung auf kambodschanischen Straßen, denn der Staub beißt in den Augen, brennt in Nase und Lunge und überzieht seine Opfer mit einer dünnen, rötlichen Schicht.

RÜCKZUGSORT DER ALTEN SCHERGEN

Selbst mehr als ein Jahrzehnt später leben noch immer viele ehemalige Schergen von Pol Pot unbehelligt in Dörfern rund um Pailin und in Psah Prum. Die meisten von ihnen arbeiten als Bauern auf den Feldern. Einige der alten ranghohen Offi ziere leben zurückgezogen in ihren schmucken Häusern. Die ehemaligen Kommunisten habe sich mittlerweile anderen einträglichen Geschäften zugewandt: Drogenschmuggel  und Spielcasinos. Vor allem reiche Thai verlieren in den grenznahen Glücksspielhallen regelmäßig ihr Geld. Die Region um Pailin liegt aufgrund der Straßenverhältnisse weiter von Phnom Penh entfernt als von Thailands Osten. Auch dadurch ist der Einfl uss der Machthaber sehr gering. Von Psah Prum sind es rund hundert Kilometer nach Battambang, der zweitgrößten Stadt des Landes. Das Taxi, ein ramponierter Renault, benötigt für die Strecke vier Stunden. Vier Stunden, in denen asiatische Popmusik vom Band untermalt wird von dröhnenden Steinschlägen gegen den Wagenboden. Die Buckelpiste ist durchzogen von tiefen Schlaglöchern. Aus manchen ragen knapp die Köpfe spielender Kinder heraus. Nicht alle Autos schaffen die Strecke. Immer wieder sieht man Fahrer, die ratlos vor defekten Motoren stehen oder zusammen mit den Passagieren versuchen, den Wagen aus einem Schlagloch zu hieven. Hier, im ländlichen Kambodscha wechseln sich alte blau gestrichene Holzhäuser auf Stelzen ab mit den mondänen Steinvillen der Schmuggler, Schlepper und Strippenzieher des Grenzhandels. Selbst in den kleinsten Holzverschlägen, die nur notdürftig mit getrockneten Bananenblättern gedeckt sind, flimmert ein Fernseher. „Den hat hier eigentlich jeder“, bestätigt unser Fahrer Khon. Vor manchen Hütten stehen Billardtische unter den Vordächern. Väter dösen in gefl ochtenen Hängematten, während Kinder in Schuluniform ihre Hausaufgaben machen oder zwischen streuenden Hunden und grasenden Kühen spielen. Am Straßenrand verkaufen Frauen in farbenfrohen Hausanzügen gekochte Maiskolben, gekühlte Cola und frisch gebratene Heuschrecken und Käfer, während die Vorgärten im Müll versinken.

SYMPHATISCHES BATTAMBANG

Khon schafft die Strecke nach Battambang heute in Rekordzeit von 3,5 Stunden. Die Gegend gilt als Reiskammer Kambodschas und ist zudem berühmt für seine Orangen. Und so ist es kaum verwunderlich, dass der Markt von Battambang einer der schönsten, buntesten und besten des Landes ist. Auf den ersten Blick ist es eine chaotische Ansammlung von Ständen. Während eine Schneiderin schnatternd Maß bei ihrer Kundin nimmt, wird nebenan lautstark um Gemüsepreise gefeilscht. Der Goldschmied diskutiert mit dem Besitzer der Wechselstube, während einige Geschäftsmänner sich in der Garküche eine Hühnersuppe einverleiben. Über allem liegt eine drückende Schwüle und ein Mantel betörender und betäubender Gerüche: Scharf angebratenes Hühnerfl eisch kokettiert mit abgestandener Fischbrühe auf dem Boden, das süßliche Anis-Aroma vom Thai-Basilikum umschmeichelt die Abgase der vielen Zweitakter und der Duft frischer Ananas poussiert mit dem dumpfsüsslichen Hauch von geronnenem Blut am Fleischstand. Wer fragt, kann hier eine gute Übersicht über die Essgewohnheiten der Khmer bekommen: Verschiedene Obst- und Gemüsesorten kennen lernen, das Geheimnis der Chilis erfahren oder über die Soleier à la Khmer fachsimpeln. Trotz der Hektik auf dem Markt: Battambang wirkt wesentlich gemächlicher und sympathischer als Pailin oder Psah Prum. Hier ist der kleine wirtschaftliche Aufschwung Kambodschas angekommen. Der Touristenstrom fließt zwar in der Regel an Battambang vorbei, doch kommen viele Individualreisende hierher, um sich die prächtige Pagode im Zentrum anzusehen oder zum mächtigen Tempelbau von Wat Phnom Ek zu fahren. Hier im Hinterland ist man froh über jeden Besucher.

Christian Schnohr


REISEINFORMATIONEN ANFAHRT: Zum Grenzübergang Pailin gelangt man direkt nur mit dem Minibus von Chanthaburi. Die Minibusse fahren allerdings nicht am Busbahnhof ab, sondern auf der anderen des Chanthaburi River, hinter dem Robinson Einkaufszentrum und dem großen Markt. In Psah Prum empfi ehlt es sich, wegen der Beschaffenheit der Straße ein Taxi nach Battambang oder Pailin zu nehmen. Die Taxifahrer in der Grenzregion sehen lieber Bath oder Dollar als kambodschanische Riel und Handeln ist Pflicht. UNTERKUNFT: In Pailin empfi ehlt sich das Hang Meas Hotel an der Hauptstraße Richtung Grenze. Auch das Chheng Leang Guest Hpuse an der RN 10 ist ordentlich. In Battambang gibt es zahlreiche gute Guest Houses, das Royal Hotel und das Chhaya Hotel sind die beliebtesten WEITERFAHRT: Von Battambang fährt jeden Tag ein Boot nach Siem Reap, acht Stunden über den Sangher River und den Tonle Sap-See. Vorbei an weiten Reisfeldern, schwimmenden Dörfern und prächtigen Pagoden, die im Wasser fast ebenso prachtvoll glitzern. Absolu lohnenswerte Investition von immerhin 15$.

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