Bangkok:

Filmriss in der Eiger Nordwand

Eine Besteigung mit Tücken


Sie ist und bleibt sagenumwoben und ist auch heute noch von magischer Anziehungskraft: Die Eiger Nordwand in den Berner Alpen. Zwar wurde die fast 2000 Meter hohe Wand schon 1938 zum ersten Mal erfolgreich vom Österreicher Heinrich Harrer und seiner Seilschaft durchklettert, doch scheitern auch heute noch zahlreiche Alpinisten aus aller Welt an den Launen der Wand. Erst vor kurzem musste auch die Schweizer Botschaft in Bangkok vor der garstigen Nordwand kapitulieren.
Die Erwartungen waren hoch, schließlich war der Anlass ja auch ein Bergmassiv mit Spitzen von über 4000 Metern: „The Alps“ – hieß es auf der Einladung der Schweizer Botschaft und wenn der Berg ruft, strömen gerade in Thailand die Leute in Scharen. Nicht oft gibt es die höchsten Berge Europas in so authentischer Weise zu sehen in Bangkok, wie bei einem Film auf der größten Leinwand Thailands.

Ehrfurcht vor Natur und Technik

Das IMAX-Kino im Siam Paragorn Einkaufszentrum verspricht nicht weniger als das ultimative Kinoerlebnis mit bester Bild- und Tonqualität. Das sollte man also nicht verpassen, haben auch wir von THAIZEIT uns  gedacht und sind der Einladung gerne gefolgt. Nach einer leckeren Stärkung in Form von Fingerfood à la Suisse war die Seilschaft bereit fürs Abenteuer: Ein Aufstieg aus den Tiefen der Kinosessel zu den Spitzen modernster Kinotechnologie sollte es werden. Der Einstieg hätte besser kaum sein können. Eine flotte Ansprache von Botschafter Rodolphe Imhoof war der richtige Reiseproviant für die abenteuerliche Reise zum Dach Europas, da hätte eigentlich nichts mehr schief gehen können. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich mich gefreut, dass in diesem Kino wohl sogar die Temperaturen dem jeweiligen Film angepasst werden. Als ich dann langsam zu frösteln begann, wurde mir schnell klar, dass ich einmal mehr besser meine Alpinisten-Jacke angezogen hätte, anstelle meines leichten Jacketts um nicht im ewigen Eis der Klimaanlage zu erfrieren. Die atemberaubenden Bilder, welche die überdimensionale Leinwand füllten, ließen mich das Frösteln bald vergessen: Die Reise im berühmten Glacier-Express, ein Bungee-Jump von der Vercasca-Staumauer, kaum je gesehene Aufnahmen von zackigen, schroffen Berglandschaften oder bombastische Lawinenniedergänge lösten bei mir schon nach wenigen Minuten einen innerlichen Verneigungs-$chub vor den Gewalten der Natur aus, der langsam in einem Erstarren vor Ehrfurcht gipfelte. - Ehrfurcht, zuerst vor den technischen Möglichkeiten dieser aufwändigen Produktion und immer mehr auch vor den Leuten, die sich in halsbrecherischer Weise in diese unwirtlichen Gegenden begeben und begaben. So offenbar auch der Vater des im Film porträtierten Alpinisten John Harlin, der 1966 in der Eiger Nordwand sein Leben lassen musste. Dieser Anlass, den Harlin Junior als 9-jähriger Junge miterlebt hatte, führt die Gewalt der Natur und die Unbarmherzigkeit einer Felswand einmal mehr deutlich vor Augen. Nicht um sonst sagte schon vor Jahrzehnten ein anderer Schauspieler den berühmt gewordenen Satz: „Wie ein böser Störenfried lastet die Wand über dem freundlichen Tal von Grindelwald. Niemand liebt sie, und wer sie kennt, fürchtet sie!“

Vermeintliche Popcorn Pause

Und dann passiert es! Eine Lawine donnert nieder und begräbt uns alle im Saal unter ihrer kalten weißen Pracht, die sofort alles Licht unter sich erstickt. – Dunkel ist’s im Saal, und gerade als sich die Augen langsam an die Erholung gewöhnen, gehen auch schon die Lichter an. – „Was ist jetzt los?“ fragt mich mein Sitznachbar. – Pausen sind in thailändischen Kinos eigentlich unüblich, doch wer weiß, vielleicht soll dies ja an die Schweizer Kinogepflogenheiten erinnern und sogleich werden sich alle erheben und sich mit Popcorn und Eis für den zweiten Teil des Films wappnen. – Die Antwort  kommt nach ein paar Minuten unsicheren Verharrens unter der Lawine: Eine Lautsprecherdurchsage verkündet, dass die Panne behoben sei, und der Film weitergehe. Aufschnaufen in der Seilschaft! Die Reise kann weitergehen. Weitere Aufnahmen die Bergsteigern und Alpenliebhabern das Wasser in die Augen treiben folgen und aus Ehrfurcht wird immer mehr auch ein bisschen Heimweh. Nach knapp einer halben Stunde ist die Panne bald vergessen und der wirkliche Aufstieg zum Eigergipfel wird endlich in Angriff genommen. John Harlin Junior will schaffen, was seinem Vater nicht gelang: Den Eiger in die Knie zwingen und die tödliche Nordwand durchklettern. Doch oh jeh! Schon wieder wird’s dunkel im Saal und niemand glaubt diesmal mehr an einen dramaturgischen Kniff des Regisseurs. Schon nach wenigen Minuten ist klar: Der Berg hat die Technik besiegt und der Filmriss ist definitiv. Und so werden wir leider nie erfahren, ob wenigstens John Harlin Junior es geschafft hat, die Nordwand zu bezwingen. Wir wissen dafür sicher, dass es aus dem Kinosessel heraus nicht immer gelingt.

Pascal Nufer

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