Thailand Kultur:
Grosses Theater in Thailand
Puppenspiel auf höchstem Niveau präsentiert das klassische thailändische Ramakien
Ein grüner Dreizack schwirrt durch die Luft, eine Sekunde später fällt der Kopf eines Kindes polternd zu Boden. Die Mutter, außer sich vor Trauer und Schmerz, offenbart die Identität des Opfers zu Isuan, ihrem Liebhaber, dem Werfer des Dreizacks: Ihr Sohn, Kumarn, geboren aus ihrem Schweiß. Isuan, entsetzt über den Mord an seinem eigenen Sohn, tröstet Uma und schickt Visukam gen Westen mit dem Auftrag, dem ersten lebenden Wesen, dass er findet, den Kopf abzuschneiden. Visukam kehrt mit einem Elefantenkopf zurück, und durch Magie befestigt Isuan ihn auf dem Rumpf des Kindes und haucht ihm neues Leben ein. Die kleine Gestalt regt sich, und Isuan gibt dem neu zum Leben erweckten einen neuen Namen: Ganesha ist geboren.
Die Darsteller in dieser Szene aus dem Ramakien, der thailändischen Version des Hindu-Ramayana-Epos, sind nicht etwa Khon-, Lakhon- oder Fawn-Tänzer, wie man bei klassischen Thai-Drama erwarten würde, sondern Puppen. Allerdings keine gewöhnlichen, sondern eine modifizierte Form der königlichen und kleinen Puppen. Auch Hun Lakhon Lek („Kleine Drama Puppe”) genannt, stehen die kunstvoll gearbeiteten Figuren paradoxerweise fast einen Meter hoch und repräsentieren jeweils einen Charakter aus einem Drama, daher der Name. Sie stehen auch nicht, vielmehr schweben sie. Denn die auf Stäben geführten Puppen müssen von drei versierten Puppenspielern gleichzeitig bedient werden, um ihr volles Potenzial zur Geltung zu bringen. Der Kopf, der linken Arm und die Beine werden separat bewegt. Die in schwarz gekleideten Puppenspieler sind auf der Bühne sichtbar. Dabei wird auch ersichtlich, warum jeder Puppenspieler, je nach Schwierigkeitsgrad, ein versierter Khon-, Lakhon- oder Fawn-Tänzer sein muss. Jede Bewegung ist koordiniert, und jeder Schritt verlangt eine abgestimmte Gegenbewegung. Das perfekte Zusammenspiel der Tänzer offenbart sich im Repertoire der Gesten der Puppen, das von neckisch, über zornig, bis traurig reicht, und so ist auch die Bewegung der Puppe an sich eine Kunst. „Hun Lakhon Lek” basiert auf Khon, dem klassischen Thailändischen Maskentanz, begleitet von Gesang und Musik. Während der Vorstellung werden die Kulisse und der Hintergrund immer wieder geändert (Die Kunst des Mantanasin), und die Dialoge live von vier Sprechern gesprochen, die, passend zum Stück, vor einem Schrein des Gottes Ganesha rechter Hand der Bühne sitzen. Vereinfachte englische Untertitel werden auf Leinwänden links und rechts der Bühne gezeigt. Die wunderschöne untermalende Musik, auch Ketatsin genannt, wird von einer kleinen Kapelle links der Bühne auf traditionellen Instrumenten gespielt.
Vom Tanz zur Puppenspielerei
Wer die Vorstellung sieht, könnte meinen, die Performance basiere auf einer jahrhundertelangen Tradition – dem ist aber nicht so. Inspiriert von der Anmut der Puppen am königlichen Hof, schuf der legendäre Khon-Tänzer Krae Saptawanit um 1900 die erste große „kleine” Drama-Puppe, damals noch ca. einen halben Meter groß, als Abbild des Pra Eeg, des männlichen Hauptcharakters, den er selber auf der Khon Bühne verkörperte. Schnell wurde das System, das je nach Schwierigkeit der Performance ein bis drei Puppenspieler erforderte, perfektioniert. Krae Saptawanit baute mehr Puppen und zog mit einer Truppe durchs Land, die Vorstellungen waren beliebt und gut besucht, bis Film und Kino das theatralisches Puppenspiel verdrängten.
Joe Louis, Bewahrer einer exotischen Kunst
Die Kunst des Hadtasin, das Fertigen der Puppen, und des Nadtasin, das Bedienen derselben, wäre heute wohl ausgestorben, hätte nicht Sakorn Yangkhieosot, Sohn zweier Mitglieder der Original-Truppe und selbst ein begnadeter Khon Tänzer, 40 Jahre nach seiner letzten Vorstellung eine Puppe gefertigt, und damit den Grundstein für ein Revival der alten Kunst gelegt. Von Mönchen als Kind „Liau” genannt, transferierte sich der Name zu Louis, und als der Amerikaner Joe Louis 1937 Weltmeister im Boxen wurde und es 106 Monate lang blieb, wurde aus Sakorn Yangkhieosot endgültig Joe Louis. 1984 zog er auf einer Messe mit seiner Puppe die Aufmerksamkeit der Tourism Authority of Thailand auf sich, die in diesem verarmten alten Mann den letzten Vertreter dieser alten Kunst erkannte, und ihm einige weitere Puppen finanzierte, die er und seine Familie bei einer Vorführung im nächsten Jahr vorstellten. Obwohl gern gesehen und durchaus geschätzt, war der Bedarf an Vorführungen zu gering, um davon zu leben. 1996 wurde Sakorn der Titel „National Artist” verliehen, die dazugehörige Ehrenmedaille wurde von Prinzessin Sirindhorn überreicht. Diese Anerkennung im Namen des Königs erlaubte es ihm und seiner Familie, die notwendigen finanziellen Mittel zu sammeln, um ein kleines Theater in Nontaburi zu errichten.Neustart und später Erfolg
Doch das „Joe Louis Theater” war zu weit weg von der Stadt und nur mit dem Nötigsten ausgestattet, und so blieb auch hier der Erfolg aus. Im Jahre 2000 brannte das gesamte Theater ab, nur eine einzige Puppe blieb von den Flammen verschont. Doch Joe Louis ließ sich nicht entmutigen, und machte sich daran, neue Puppen zu fertigen. Dabei machte er einige Innovationen; er gestaltete die Puppen lebensechter und führte neue Materialien ein, außerdem wuchsen sie auf einen Meter. Im Juli 2002 schließlich wurde das Joe Louis Theater an einem ihm gebührenden Platz von Prinzessin Sirindhorn neueröffnet: Direkt neben dem Lumpini Park, im, bei Einheimischen und Touristen gleichsam beliebten Suan Lum Night Bazar. Das Traditional Thai Puppet Theater, wie das Joe Louis Theater auch genannt wird, ist schon oft in Übersee aufgetreten und hat zwei Awards beim Puppenfestival in Prag gewonnen; für beste traditionelle Vorführung und beste Performance. Dies war wohl eine der höchsten Auszeichnungen für Joe Louis, der auf ein beachtliches Lebenswerk zurückblicken konnte: Der Erhalt und das Wiederaufleben der exotischen Thai-Kunst des Theaters mit den „kleinen Drama Puppen“ ist sein Verdienst. Sakorn Yangkhieosot, alias Joe Louis, der Großmeister der Puppenspieler, starb im Mai 2007.Das Joe-Louis-Theater
Heute führen die Kinder von Joe Louis das Theater. Es gibt täglich eine Vorstellung, inklusive der Gelegenheit, sich mit den Puppen und ihren Meistern fotografieren zu lassen. Das Ensemble ist ebenfalls für private Vorführungen aller Art zu mieten. Wer mehr über traditionelle Thai-Puppen erfahren will, sollte sich eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung einfinden, dann wird nämlich eine Dokumentation über Thai Puppen gezeigt. In dem lieblichen Gebäude ist auch ein Souvenir-Laden untergebracht, in dem von kompletten Puppen, Masken, Amuletten und Broschen bis zu den Bestandteilen der Kleidung (das Fertigen der Puppenbekleidung ist eine eigene Kunst und nennt sich Phraneedsin) alles erstanden werden kann, was mit den großen Kleinen zu tun hat. Wer sich nach dem Besuch der Vorstellung noch nicht vom dem Zauber der Marionetten lösen will, kann noch in der vorgelagerten Naatayasala Terrace authentisches Thai-Food und traditionelle Thai-Musik genießen.Joachim Winkel
Suan Lum Night Bazar, MRT Station Lumpini Vorstellungen täglich 19:30 – 20:00 Dokumentation über Thai Marionettentheater 20:00 – 21:15 Birth of Ganesha Tickets: Erwachsene 900 Baht, Kinder 300 Baht Tickets können online gebucht werden, Reservierung wird empfohlen. www.thaipuppet.com
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