Typisch Thai:

Die Akrobaten der Gehwege

Nach Leichtigkeit klingen sie nicht in deutschen Ohren, diese zwei harten, eckigen Worte. Und doch bedeutet Sepak Takraw, die eigentümliche Mischung aus Fuß-, Feder- und Volleyball, für viele Thailänder genau das: eine kleine, für jedermann erschwingliche Flucht aus dem Alltag.
Nummer fünf lebt im Staub der Buddhamonthon Sai Si. Tag für Tag sitzt er in seiner gelben Signalweste – mit der Zahl, die ihn ausweist, am rechten Fleck – am Stadtrand Bangkoks. Er wartet, wie seine 56 Kollegen auch, auf Kundschaft für sein Motorradtaxi, eine kleine, rotzige Zweisitzermaschine mit kaum mehr als 50 Kubik. Für 10 Baht bringt er sie überall hin: die privilegierten Studenten der nahen Universität zu ihrem Seminar, heimkehrende Pendler noch schnell zum Marktplatz, ortsunkundige Touristen zur vermeintlich größten Buddhastatue der Welt.

Nicht alle der mutigen Moped-Hasardeure sind immer hier. Manche kommen stundenweise aus den umliegenden Fabriken herüber und bessern mit den Fahrten ihre bescheidenen Löhne auf. Aber die meisten sitzen hier den ganzen Tag. Und manchmal wird das Warten lang, besonders zur Mittagszeit, wenn die Sonne senkrecht über dem nahen Äquator steht, die Luft auf dem Asphalt kocht und nur der Fahrtwind ein wenig Kühlung verspricht. Doch gegen Abend ist Zeit für ein Spiel. Alles, was die Zweirad-Kutscher dafür brauchen, ist ein wenig Platz auf dem Gehweg und ein federleichter Ball, aus Rattan geflochten und kaum so groß wie eine Honigmelone. Dazu eine Schnur, zwischen zwei Pfeiler gespannt, oder besser ein Netz wie beim Badminton. Aber das ist seit einer Weile kaputt, und keiner hat Geld für ein neues. „Vielleicht finden wir bald eins”, sagt einer der Mopedfahrer und zeigt grinsend sein holpriges Gebiss. Kann ja sein, dass irgendwo mal eines herumsteht, das keinem gehört …

Die Augen folgen den eigenen Bewegungen ...

Nummer 27 schnappt sich die Kugel. Die Luft steht starr vor Hitze, doch das ist ihm egal. Er will jetzt spielen, er hat jetzt Lust, und wer weiß schon, was der Tag noch bringt. Zwei-, dreimal lässt er den Ball auf dem Innenrist tänzeln wie ein Rastelli. Die Augen folgen den eigenen Bewegungen, voller Konzentration, und um den Mund spielt dabei ein kleines Lächeln. Doch der kostbare Moment währt nur kurz. Ein Bus hält und spuckt Kundschaft aus, junge Studentinnen, die nicht aufs Kleingeld, aber auf ihre zierlichen Absätze achten müssen. Und schon pflügt Nummer 27 mit seinem Moped wieder durch die wabernden Schlieren, die die Hitze auf die Straße malt, anstatt seine Kollegen für ein frühes Ball-über-die-Schnur zu begeistern. Später, gegen Abend dann, wenn die Sonne den Himmel rötlich färbt, ist Zeit. Dann spannen die Fahrer das Netz, das jemand mitgebracht hat, über das Trottoir und üben sich an ihren Finessen. Nummer 9 zum Beispiel, der im Anstoßkreis steht und den Ball verlässlich ins Spiel bringen muss. Oder Nummer 56, der vorn am Netz bisweilen quer in der Luft steht, um einen Schmetterball anzusetzen. Oder Nummer 41, der den Ball, wenn es sich ergibt, mit der Hacke aus der Luft fischt. Sie alle würden, stünden sie auf einem Fußballplatz, „Tore des Monats“ am Fließband produzieren. Aber Titel und Preise, Ruhm und Ehre sind nicht das Ziel, ja nicht einmal Tore. Es geht um Punkte, das schon, mit Regeln ähnlich dem Volleyball. Doch wer den Punkt macht und wer ihn zulässt, ist Nebensache. Viel wichtiger, dass er spektakulär erzielt wird, dass der Ball oft die Seiten wechselt, dass aus dem gemeinsamen Spiel etwas Schönes entsteht. Wenn’s ums Siegen wäre, um Prestige und Pokale, dann wären all diese Spieler hier fehl am Platze. Denn seien wir ehrlich: Ein Gewinner ist keiner von ihnen, sonst wären sie nicht hier. Aber für dieses Spiel mit dem spröden, sperrigen Namen, für diese kurze Ewigkeit  am Ende des Tages, da lohnt es sich, hier zu sein. Dann steht ein Lächeln auf den viel zu alten Gesichtern der Fahrer, und die kleinen Motoren am Straßenrand schweigen. Erst wenn der letzte Sonnenstrahl versandet im Staub der Sai Si, ist der Zauber vorbei. Dann knattern die Maschinen von neuem. Das Warten beginnt von vorn. Und die Gesichter sind wieder grau.

Sebastian Züger


Sepak Takraw Man nehme: 1 Sepak Takraw-Ball aus Korb oder Kunststoff, 1 Badminton-Netz. Idealerweise wird Sepak Takraw auf einem Badmintonfeld gespielt. Aber man passt sich den Gegebenheiten an: Ist zum Beispiel kein Platz für zwei Pfosten, wickelt man das zweite Ende des Netzes eben um einen Baum. Offiziell schreiben die Regeln eine Netzhöhe von 1,55 Metern vor. Die Thais messen Pi mal Daumen auf Stirnhöhe, was für durchschnittliche Westeuropäer Schulterhöhe bedeuten würde. Während des Spiels ist jede Berührung des Netzes tabu. Fünf große Schritte vom Netz entfernt wird die Feldlinie markiert. Sie darf im Spiel ebenso wenig übertreten werden wie die Mittellinie. Einen Riesenschritt zurück Richtung Netz findet sich der Kreis, in dem sich der Kicker für den Anstoß positioniert. Er erhält den Ball als Vorlage von einem Werfer, der im Einwurfbereich an einem der beiden Pfosten steht, und bugsiert ihn mit einem möglichst kunstvollen Schuss über das Netz. Jeder Ballwechsel beginnt so. Obwohl abhängig von der Spielfeldgröße, sollte ein Team außer aus Werfer und Kicker noch aus mindestens einem weiteren Spieler bestehen. Es gilt, den Ball nach beliebig vielen Körperkontakten wieder auf die generische Seite zu bringen. Außer Händen und Armen sind dabei alle Körperteile erlaubt und spektakuläre Verrenkungen erwünscht. Fällt der Ball auf den Boden oder ins Aus, bekommt der Gegner den Einwurf und darf Punkte machen. In offiziellen Turnieren gibt es unterschiedliche Punkteregeln, aber allesamt ähneln sie der Wertung beim Volleyball. Auf der Straße aber geht es vor allem um die Akrobatik, gezählt wird nur selten. Ist kein Netz in der Nähe, wird einfach – wie seit über 2000 Jahren – im Kreis gespielt. Auf Sportplätzen oder Schulhöfen ist gelegentlich die Variante zu sehen, bei der in der Mitte auf etwa fünf Meter Höhe ein Korb hängt. Der kann bei Belieben auch durch einen Ast oder eine (robuste) Laterne ersetzt werden ... Viel Spaß! (ash)

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