A.W.C - Asien Worker:
DIE FARBEN DER VERLORENEN GESICHTER Thailands
Ralf Tootens Hommage an Thailands Bauarbeiter.
Wenn Thailands Wanderarbeiter ihre Baugruben verlassen, werden Gehsteige fast unbemerkt zu Laufstegen und eine Modeschau von Carl Lagerfeld oder Wolfgang Joop würde daneben blass aussehen. Das farbenfrohe Spektakel hat den deutschen Fotografen Ralf Tooten schon vor Jahren in seinen Bann gezogen. Mit der Serie „A.W.C. - Asian Worker Covered“, hat er es geschafft, Tausenden von gesichtslosen Arbeitern endlich ein eigenes Gesicht zu verleihen. Und zwar eines mit bunten zuversichtlichen, jedoch nicht unkritischen Zügen.
Zu Hunderten zwängen sie sich aus der einzigen Öffnung des riesigen Bretterverschlags, hinter dem schon die Betongerippe der künftigen „Milleniumtower“ in den Abendhimmel ragen. Es ist Schichtwechsel auf einer von Bangkoks größten Baustellen.
Eine Szene, wie sie sich täglich hundertfach in ganz Thailand abspielt. In den Händen der Arbeiter baumeln leere Lunchboxen, ihre Füsse stecken in Gummistiefeln oder auch nur in einfachen Badelatschen. Die meisten haben ihren Kopf vermummt. Zum Teil sieht man nur ein paar schwarze Augen herausblitzen. Ihre Verkleidungen, die in manchen Fällen gar and Mudschahedine erinnern, könnten meist auch einfach ausgefallene Kreationen eines hippen Modeschöpfers sein. „Es ist ein Schutz. Ein Schutz gegen die
Sonne und gegen den Staub, aber auch ein Persönlichkeitsschutz“, sagt Ralf Tooten während er ein Plakat mit Dutzenden von briefmarkengroßen Porträts auf seinem Tisch ausrollt. Porträts von eben diesen Wanderarbeitern. Zum Teil sind sie im Profi l aufgenommen, andere wiederum blicken direkt in die Kamera.
EIN PERFEKTIONIST
Wir sind in Ralf Tootens Atelier, das zugleich Wohnhaus des Wahl-Bangkokers ist. Die Bauarbeiter sind längst bei ihm eingezogen. Zu Gruppen sortiert oder einzeln angepinnt, lugen sie von den Wänden in die Stube und ins Arbeitszimmer des Fotografen, beobachten ihn bei den letzten Arbeitsschritten vor der Ausstellungseröffnung und raunen ihm ihre Änderungsvorschläge zu. So kommt es einem zumindest vor, wenn man Ralf Tootens Refugium in einer Seitenstrasse der Sukhumvit Road besucht. Höchste Konzentration spricht aus seinem Blick, wenn er die druckfrischen Prints der Ausstellungsplakate betrachtet. Es scheint, als würden die kritischen Augen des Experten jedes Korn des Plakates einzeln überprüfen, bevor er es für aufhaÅNngewürdig befi ndet. „Ich bin ein Perfektionist“, sagt Ralf Tooten und schmunzelt. Er weiß genau, dass dies sein Erfolgskonzept ist. Denn es wäre sonst kaum möglich, innerhalb von drei Jahren Tausende von Menschen auf über 40 Baustellen in ganz Thailand zu fotografi eren, ohne dabei den Überblick zu verlieren. Ein solche Arbeit braucht Disziplin und Organisationstalent, aber auch Durchhaltewillen und Anpassungsvermögen.FESSELNDE ÄSTHETIK
„Wichtig waren auch die richtigen Kontakte“, sagt Tooten und erklärt, wie heikel diese Arbeit oftmals war. „Wir wurden schon mit Schimpf und Schande von Baustellen verjagt und mussten das gesamte Filmmaterial abgeben.“ Auch wenn es in jenem Fall nur unbelichtete Filme waren, zeigt er das Problem deutlich: Die Arbeiter, die auf Thailands Grossbaustellen an der Zukunft des Landes bauen, haben wenig Rechte. Sie sind oft schlecht bezahlt (siehe Seite 14) und viele haben keine thailändische Aufenthaltsgenehmigung. Kein Wunder also, dass die Bauherren keine große Freude haben, wenn plötzlich ein Fotograf auf dem Gelände auftaucht und die Arbeiter ablichten will. „Ich dachte anfänglich, dass ich einfach hingehen kann und jeweils vor Ort die Sache regle“, erzählt Ralf Tooten. Doch wurde ihm schnell klar, dass auf diesen Megabaustellen nichts dem Zufall überlassen wird und jeder, der nicht hingehört gleich vom Platz fl iegt. „Dank guten Kontakten zu einem Vorarbeiter einer großen Baufi rma gelang es mir schließlich, dass ich offi ziell Zugang bekam.“ Tooten faszinierte diese raue Welt, wo Frauen und Männer unter harten Bedingungen teilweise Tag und Nacht schuften, nur um das Feuer des Asienbooms am Lodern zu halten. „Es war vor allem die Ästhetik, die mich fesselte“, erklärt Tooten seinen Antrieb. Und dabei spricht er nicht von der Architektur der wachsenden Wolkenkratzer, er meint viel mehr die versteckte Schönheit der Arbeiter selber. „Es ist offensichtlich, dass die bunten Farben, die sie für ihre Kopfbedeckungen wählen, auch ästhetischen Ansprüchen genügen.“ Je länger er fotografi erte und je mehr Bauarbeiter sich in seinem mobilen Fotostudio ablichten ließen, desto klarer wurde seine These. Hinter den Masken verbergen sich nicht einfach verbitterte, vom Leben bestrafte Menschen mit schlecht bezahlten Jobs. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil diese Menschen sonst wenig zu lachen haben, haben sie sich sehr gefreut, einmal im Rampenlicht oder zumindest im Blitzlicht zu stehen. „Es waren oft sehr heitere Momente, wenn sich die Leute vor meine Kamera stellten“, bilanziert Tooten seine Arbeit und rollt mit einem zufriedenen Blick die Plakate zusammen, die am nächsten Tag in der Stadt auf die bevorstehende Vernissage aufmerksam machen sollen.GESICHT FÜR GESICHTSLOSE
„Und wie wichtig ist die politische Aussage hinter dieser Arbeit“ - Eine Frage, die Tooten mit wohl überlegtem Zögern beantwortet: „Es ist natürlich kein Zuckerschlecken, das Leben dieser Menschen, trotzdem will ich aber mit meiner Arbeit niemanden an den Pranger stellen. Ich will vielleicht Augen öffnen, das ist immer gut. Und wenn meine Bilder durch ihre Schönheit zum Nachdenken anregen ist ja schon viel erreicht.“ Was Ralf Tooten mit seiner Arbeit auf jeden Fall erreicht, ist eine Art Rehabilitation einer ganzen Gruppe von Leuten, die im thailändischen Alltag wenig verloren haben und normalerweise hinter Wellblech-Wände oder Holz-Balustraden verbannt sind. Es sind Menschen, die es gewohnt sind, ihr Gesicht zu verstecken um es so auch nicht mehr verlieren zu können. Mit seinen sorgfältig ausgewählten und in jedem Pixel ästhetischen Bildern verhilft Tooten dieser gesichtslosen Masse zu einem sehr farbenfrohen Antlitz mit großer Ausstrahlung. In einer asiatischen Gesellschaft, in der ein Gesichtsverlust das größte Übel ist, das einem Widerfahren kann, ist das wohl ein großes Geschenk.Pascal Nufer
DER FOTOGRAF Mit seiner Arbeit „Eyes of Wisdom“ (Augen der Weisheit) begeisterte der Deutsche Fotograf Ralf Tooten im Jahr 2004 nicht nur Scharen von Kritikern, sondern erlangte auch internationale Aufmerksamkeit bei einem breiten Publikum. Nach seinem eindrucksvollen Werk über die spirituellen Führer dieser Welt, ließ sich der Gewinner des Hasselbladpreises in Bangkok nieder und arbeitete hier gleichzeitig an zwei neuen Projekten: „Asian Worker Covered“ und „Bangkok Noir“. www.tooten.com
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