Gemeinde in Bangkok:

Mit weniger Wünschen zum Glück

Wünsche eines Pfarrers an die Leser der Thaizeit – Von Burkhard Bartel, Pfarrer der deutschsprachigen evangelische Gemeinde in Bangkok.


Wenn wir uns von Menschen verabschieden nach einem schönen Abend oder auf dem Flughafen, dann sagen wir Tschüss und wünschen ihnen eine gute Nacht, einen angenehmen Flug oder einfach alles Gute. Wir geben gern Wünsche mit auf den Weg. Zum Geburts- oder Hochzeitstag dürfen die Wünsche ruhig etwas größer ausfallen. Da geht es um „viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen“ und Gesundheit und Erfolg und dass alle seine Wünsche in Erfüllung gehen mögen. Jetzt zum Jahreswechsel haben wir tatsächlich eine Inflation der guten Worte und der allerbesten Wünsche. Warum geben wir überhaupt gute Wünsche mit? Und was steckt eigentlich dahinter?
Unser Briefkasten ist in diesen Tagen voll mit vorgedruckten Glückwunschkarten, die nur noch unterschrieben wurden. Da darf man schon fragen, ob uns damit wirklich jemand persönlich und von Herzen alles Glück der Welt wünscht, oder ob der Bewünschte schon wieder vergessen ist, kaum ist die Karte unterschrieben und frankiert? Wie dem auch sei, wir lassen es mit uns geschehen. Es wird ja nicht schaden. Schlussendlich wünschen wir uns ja auch selbst etwas oder fassen Vorsätze, die ebenfalls ein Ausdruck unserer tiefsten Wünsche sind. Ein Wunsch ist ein Verlangen nach Veränderung. Wir möchten lieber wieder Nichtraucher sein oder weniger wiegen. Oder wir möchten mehr besitzen oder größere Anerkennung erfahren.

Wenn unser Wunsch in Erfüllung gegangen ist, sind wir für einen Moment zufrieden. Aber ist es nicht so, kaum dass dieses Verlangen gestillt wurde, schon wieder ein weiteres Gefühl von Unzufriedenheit empfunden wird? Neue Wünsche kommen auf. Warum aber sind wir überhaupt für einen Augenblick zufrieden, wenn uns ein Wunsch erfüllt wird? Unsere Zufriedenheit resultiert ja nicht aus der eigentlichen Erfüllung des Wunsches. Vielmehr erfahren wir kurzzeitig den Zustand der Wunschlosigkeit, da ja unser Wunsch erfüllt wurde und damit verschwunden ist. Recht eigentlich macht uns also die Wunschlosigkeit zufrieden und glücklich. Wir deuten dies an, wenn wir sagen, dass wir „wunschlos glücklich“ sind. Der griechische Philosoph Epikur schrieb schon 300 Jahre vor Christus: „Wenn du einen Menschen glücklich machen willst, dann füge nichts seinem Reichtum hinzu, sondern nimm ihm einige von seinen Wünschen.“ Wünsche können oft schnell erfüllt werden. Aber glücklich wird ein Mensch dadurch nicht. Also lassen Sie Ihre Wünsche kommen und wieder gehen. Glücklich sein ist etwas anderes. Und so antworten auch nur ganz wenige Menschen auf die Frage, ob sie glücklich sind, mit einem klaren Ja. Wir alle möchten aber im Glück leben. Was wir uns am meisten dafür wünschen ist Frieden, jetzt vor allem Frieden für Thailand. Unsere derzeitige Angst vor Gewalt und Chaos ist ein Ausdruck dafür. Denn wir erleben in diesen Tagen, wie sich Thailand in zwei Lager aufspaltet, und beide sind bereit, zur Erreichung ihrer Ziele aufs Ganze zu gehen und auch Gewalt einzusetzen. Beide Lager führen in ihrer Selbstbezeichnung das Wort Demokratie, setzen aber zur Erreichung ihrer Ziele auf undemokratische Mittel, indem sie zum Beispiel Gewalt anwenden. Ein Ende ist nicht abzusehen, in unserem Wunsch auf Frieden werden wir auf später vertröstet. Also müssen wir unglückliche Menschen sein. Dieser Umkehrschluss ist falsch. Dietrich Bonhoeffer bezeichnete sich in seinen Briefen aus dem Gefängnis in Tegel an seine Verlobte Maria oft als einen glücklichen Menschen. Wie ist das möglich? Er saß im Gefängnis und hatte kaum noch die Aussicht, es jemals wieder lebendig zu verlassen. Man kann offensichtlich ein glücklicher Mensch sein in ganz unglücklichen Verhältnissen. Natürlich äußerte Bonhoeffer Wünsche. Aber daran hing nicht sein Glück. An was also hängt unser Glück? In der Kathedrale von Baltimore hat man einen alten Text aus dem Jahre 1692 gefunden. Er hat die Überschrift „Wünsche“. Darin heißt es unter anderem: „Was auch deine Arbeit und dein Sehnen ist, erhalte dir den Frieden mit deiner Seele in der lärmenden Wirrnis des Lebens. Mit all der Schande, der Plackerei und den zerbrochenen Träumen ist es dennoch eine schöne Welt. Strebe behutsam danach, glücklich zu sein.“ Lebenskunst ist die Bereitschaft glücklich zu sein. Wir sind aufgefordert, das Leben bewusst wahrzunehmen und den Sinn auch im Kleinen zu entdecken. Ja im Leben selbst. Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Mit meinen Konfirmanden bespreche ich jedes Jahr neu den Satz: „Dieser Tag ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.“ Jetzt, in diesem Moment, habe ich die Möglichkeit, neu anzufangen. Was für ein Glück. Der Dichter Martialis schrieb im 1. Jahrhundert an seinen besten Freund zur Frage, was das Leben glücklich macht: „… dass du das, was du bist, sein willst und nichts lieber willst. Und dass du deinen letzten Tag weder fürchtest noch herbeisehnst. Eine Anleitung zum Glücklichsein möchte ich Ihnen weitergeben. Ich fand sie im Buch Kohelet im Alten Testament. Stellen Sie sich vor, dass Sie am Meer sitzen und die Wellen kommen und gehen. Mit jedem Wellengang dringt ein neuer Gedanke ans Ohr: Alles hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, Gepflanztes ausreißen hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; umarmen hat seine Zeit, Umarmung meiden hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Krieg hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
All das gehört zum Leben. Auch die Zeiten des Klagens, des Weinens und des Sterbens. Das Gedicht tröstet. Alles hat seine Zeit. Alles gehört zum Leben. Erwarte nicht nur die guten Zeiten. Aber lass dich auch von den schlechten nicht unterkriegen. Die Schlussfolgerung von Kohelet ist dann: „Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt, als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ Dies ist einer meiner Lieblingstexte. Er hilft mir, das Leben als eine Wanderschaft zu begreifen. Leben heißt: Tun und lassen, was an der Zeit ist. Sich einrichten und Dinge behalten steht gegen den Fluss des Lebens. Loslassen um voran zu kommen. Reißt ein, was ihr als falsch erkannt habt! Werft weg, was euch hindert weiterzugehen. Und schweigt um eurem Leben, euren Wünschen, euren Sehnsüchten und eurer Hoffnung auf den Grund zu gehen. Lebt ganz im Hier und Jetzt. Das können wir hier in Thailand lernen, bei den Menschen und bei den Mönchen, nämlich gegenwärtig leben, aufmerksam leben und achtsam leben. Wir dürfen mit offenem Sinn und Herz durch die Welt gehen und genießen. Ich glaube, wer echt genießen kann, der kann auch echt mitleiden. Wer offene Augen hat für das Schöne um ihn, der sieht auch seinen Bruder, der leidet. Und wer selbst glücklich ist, der will das Glück der ganzen Welt. So sagen wir auch am Ende ganz bewusst TSCHÜSS, das heißt adieu, adiós, ad deum, geht mit Gott!

Burkhard Bartel


Mein persönlicher sehr unvollständiger Wunschzettel für kommende Tage: Zugeben dürfen, bestimmte Dinge nicht zu schaffen. Keine Furcht haben vor dem, was andere denken mögen. Meine dünne Haut nicht verteidigen müssen. Wieder Herr über die eignen Gedanken sein. Müde sein dürfen. Weinen mit Mozart – Tanzen mit Bach. Auf Ausreden nicht angewiesen sein. Ohne Angst vor dem Sterben sein. Den Glauben an die Unmöglichkeit verlieren. Fehler machen dürfen, nicht nur einen. Durch ein Gestrüpp gehen können. Die Geduld der Spinne haben. Mich anstecken lassen von der Menschenfreundlichkeit Jesu. „Fürchte dich nicht!“ als den ersten Hauptsatz begreifen. Sich keinen Wunsch ausreden lassen. Keinen Stein ins Rollen bringen. Beim Nein fühlen auch Nein sagen. Bei einem Menschen eine Heimat haben. Den 24-Stunden-Tag nicht länger machen wollen. Niemandem aus dem Weg gehen müssen. Keine Verachtung spüren. Nelson Mandelas Versöhnung lernen. Nicht auf alles eine Antwort haben. Sensibel sein dürfen. Aus sich herausgehen. Selig sein. Die Fortsetzung folgt in einem Jahr. Bitte führen Sie die Liste bis dahin weiter und leben Sie mutig. Sawatdee pi mai und Adieu, Ihr Pfarrer Burkhard Bartel

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