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Thailand fasst nach Unruhen rasch wieder Tritt
Bangkok (gtai) – Vor einem Jahr erschütterten blutige Unruhen die thailändische Hauptstadt Bangkok. Die Tumulte im Mai 2010 ließen ein geschocktes Land zurück. Thailand schien politisch und wirtschaftlich auf dem Weg in Richtung Abgrund, die ersten Abgesänge auf den „Musterknaben“ Südostasiens wurden bereits verfasst. Doch in nur einem Jahr wendete sich das Blatt völlig. Die Wirtschaftsleistung hat sich überraschend schnell erholt, insbesondere in den wichtigen Bereichen Tourismus und Kfz-Fertigung.Zwar sind die politischen Probleme und die gesellschaftliche Spaltung noch nicht völlig überwunden – doch wirtschaftlich hat das Königreich ein kaum für möglich gehaltenes „Comeback“ vollzogen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg 2010 real um satte 7,9% und wies damit den höchsten Anstieg seit 15 Jahren auf. Die Exporte boomten um 28%, die Importe um fast 37%. Auch die Prognosen für 2011 lassen sich mit zweistelligen Zuwachsraten im Außenhandel sowie einer BIP-Steigerung von 4 bis 5% durchaus sehen. „Thailand verzeiht man eben schneller“, so das Fazit von Alexander Hirschle, Repräsentant von Germany Trade & Invest in Bangkok, angesichts des kaum für möglich gehaltenen Aufschwungs.
Von den Unruhen waren vorwiegend der Dienstleistungs- und Tourismussektor betroffen gewesen. Die Hotels und großen Kaufhäuser im Zentrum von Bangkok erlitten erhebliche Umsatzeinbußen während der mehrmonatigen Demonstrationen und Straßensperren, zahlreiche Flüge wurden storniert. Doch nach einer kurzen Atempause entfaltete das Land bereits wieder seine volle Anziehungskraft auf ausländische Touristen.
Im Gesamtjahr 2010 stieg deren Zahl um 11%, für 2011 wird eine weitere zweistellige Steigerung auf 16,8 Mio. Erholungssuchende angestrebt. Die Auslastung der thailändischen Hotels erreichte nach Angaben des Fachverbandes Thai Hotels Association (THA) in den ersten Monaten 2011 den höchsten Wert seit drei Jahren. Im Einzelhandelssektor planen große Ketten die Ausweitung ihrer Verkaufsflächen, Unternehmen aus der VR China wollen ein gigantisches Großhandelszentrum mitten in Bangkok aus dem Boden stampfen. Doch nicht nur der Dienstleistungssektor ist im Aufwind. Auch wichtige Branchen der verarbeitenden Industrie befinden sich in einem anhaltenden Steigflug, der schon von den Unruhen 2010 kaum tangiert wurde. „Wir haben keine einzige Produktionsstunde in Thailand verloren“, so äußert sich Rolf-Dieter Daniel, Geschäftsführer des Fabrikanten von Schreibartikeln, Staedler. Andere deutsche Mittelständler, wie Häfele oder Stiebel Eltron, sehen sich vor zweistelligen Wachstumsraten für ihre Produkte in Thailand, unter anderem angekurbelt durch eine dynamische Bauwirtschaft. Der unumstrittene „Star“ unter den thailändischen Branchen war zuletzt der Kfz-Sektor, der für rund zwölf Prozent des BIP und etwa zehn Prozent der Exporte verantwortlich zeichnet. So explodierte der Ausstoß in den Fahrzeugschmieden des Königreichs 2010 um 65% auf knapp 1,7 Mio. Einheiten. Export und lokaler Absatz konnten ebenfalls stark um 67% beziehungsweise 46% zulegen. Die Importwerte für Kfz-Teile schossen 2010 um 75% in die Höhe. Zwar beruhten diese exorbitanten Zuwachsraten zum Teil auf Basiseffekten wegen der internationalen Wirtschaftkrise 2009. Doch auch im laufenden Jahr wird die thailändische Kfz-Industrie ihren Aufwärtstrend fortsetzen, allerdings mit leicht verminderter Geschwindigkeit. Der Absatz von Pkw soll dabei mit einem Plus von 11,1% über demjenigen von Nutzfahrzeugen liegen, die „nur“ um 4,6% zulegen sollen. Auch das Forschungsinstitut K-Research sieht einen anhaltenden Aufwärtstrend in Thailand mit Wachstumsraten zwischen 5 und 10% für die Kfz-Verkäufe 2011 voraus. Die Produktionszuwächse der lokalen Kfz-Schmieden sollen ebenfalls wieder an der Zehn-Prozent-Marke kratzen. Der Industrieverband Federation of Thai Industries rechnet damit, dass Thailands Kfz-Branche bis 2016 unter die „Top-Ten“ der globalen Automobilhersteller aufrücken und die Kapazitäten von 1,6 Mio. Fahrzeugen in 2010 auf 2,5 Mio. Einheiten erweitern kann. Und die Prognosen zielen nicht ins Leere. Handelskammern, Consultants und internationale Rechtsanwälte berichten von einer starken Zunahme bei den Anfragen für Investments im Kfz-Bereich, die bereits ab August 2010 einsetzte – nur drei Monate nach Beendigung der Unruhen – und seither steil nach oben zeige. „Wir hatten in der letzten Zeit überraschend viele Investitionen im Kfz-Sektor zu verzeichnen“, so Martin Klose, Geschäftsführer der Niederlassung von Rödl & Partner in Thailand. „Es scheint, als ob die deutschen Firmen in dieser Branche nicht allzu stark von den Negativnachrichten über die politischen Unruhen beeinflusst wurden“. Nach Einschätzung von Klose sind die Unternehmen davon überzeugt, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen unabhängig von den politischen Störfeuern stabil sind und es auch weiterhin bleiben. Natürlich ist auch in Thailands Wirtschaft nicht alles Gold, was glänzt. Weiterhin gibt es strukturelle Probleme, wie einen niedrigen Anteil von Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen, Defizite im Bildungsbereich sowie einen Fachkräftemangel, der im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs sogar langsam aber sicher auch auf ungelernte Beschäftigte übergreift. Aktuell bereitet nicht die innenpolitische Situation die größten Sorgen, sondern vielmehr die anziehende Inflation, der seit Mitte 2010 anhaltend hohe Wert der Landeswährung Baht sowie die Auswirkungen der Katastrophe in Japan. Doch das könnte sich bald wieder ändern: Anfang Mai 2011 hat der thailändische Regierungschef Abhisit die lang angekündigte Auflösung der Parlaments eingeleitet und damit die notwendigen Voraussetzungen für Neuwahlen Mitte des Jahres geschaffen. Nach Einschätzung fast aller Experten wartet damit ein entscheidender „Lackmustest“ auf das südostasiatische Land. Sollten die Wahlen relativ ruhig vonstatten gehen und die Ergebnisse von allen Parteien akzeptiert werden, könnte Thailand wieder sein volles ökonomisches Potenzial ohne Störfeuer von der politischen Front entfalten. (A.H.)
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